Wo ich herkomme, wie alt ich bin, wo ich wohne, warum ich hier bin, wann ich wieder nach Hause gehe, wagt heute kaum einer außer Kinder vielleicht noch ungeniert zu fragen. Gut so. Endlich kann ich die Ruhe und Anonymität meines Daseins in Deutschland genießen. Da lasse ich mich nicht mal von dem ungelenkigen, schlangenlangen, aus drei Wörtern zusammengebastelten, scheinbar neutralen, sachlichen Begriff „Migrationshintergrund“ stören. Auch wenn er zwischen mir und Deutschland wie eine dicke Glasscheibe steht und jeder, der mich sieht und hört, weiß sofort, ich habe ihn, den berühmten Migrationshintergrund! Macht nichts! Ich habe damit gar kein Problem. Im Gegenteil.
Die Frage nach dem Ursprung lasse ich mir dadurch aber auf keinem Fall nehmen. Woher jemand oder etwas kommt ist für mich eine zentrale philosophische Frage.
Ich muss wissen woher eine Bohne kommt, woher die Pasta und wie die beiden, die serbische Bohnensuppe und die italienische Pasta manchmal zueinander finden, wo, wann und warum sie sich begegnet haben? Alle Fragen meines Berufes. Nein, ich bin keine Köchin.
Ich bekenne: Ich liebe gutes Essen und schräge Fragen. Aber kochen? Nein, da bin ich eine völlige Niete. Obwohl ich die besten Lehrer der Welt haben könnte. Oder vielleicht deswegen...
Deswegen treibt es mich immer wieder zu dem Italiener um die Ecke. Früher verkaufte der schmale Toni und seine füllige Maria in einem feuchten Souterrainlädchen aus einem alten, brummenden Kühlschrank erstklassigen Parmaschinken, Salami und Parmigiano und natürlich ihre selbstgemachte Pasta.
Heute tanzt hinter riesigen Schaufenstern das italienische Ehepaar in weiß gestärkten Maxi-Schürzen eifrig um die zugezogenen Jungunternehmer, Grafikdesigner, Architekten und Journalisten, die zur Mittagszeit hierhin pilgern wie zu einem Heiligen Ort.
An den vier hohen Tischen aus Birkenholz hocken sie lässig, jeder mit einem eleganten Riesenglas in der Hand und lassen sich von Toni tropfenweise eine neue Weinsorte einschenken. Die kleinen Gerichte, zubereitet nach den alten Rezepten von Marias Großmutter, machen sie geradezu süchtig.
Antonio, wie ihn seine Gäste jetzt nennen, hält in der Hand die handbemalte Flasche hoch wie eine Weltmeister-Trophäe. Maria zwitschert hinter ihrer polierten Glas-Messing-Theke, bevor sie einen seltsamen grauen Brei serviert. Die jungen Erfolgsmänner schließen die Augen und weiten ihre Nasenlöcher.
„Pasta e´ Fagioli“ lieben ihre Kunden mehr als Trüffel“, schwärmt Maria von ihren kurzen Nudeln, die in dem fetten Bohnenbrei schwimmen wie kleine gestrandete U-Boote im Schlick. Ich wundere mich.
Den Bohnenbrei mit Nudeln kenne ich gut aus meiner Kindheit. Die Nudeln sollten den deftigen Geschmack der Räucherrippen, die Papa in Bohnensuppe so liebte, für uns Kinder mildern. Bisher dachte ich, es sei eine Erfindung meiner Mutter. Jetzt erfahre ich, dass Mamas namenloser Mittwochseintopf, der meine Geschwister immer vergraulte, einen klangvollen italienischen Namen trägt.
„Pasta e´Fagioli ist ein uraltes toskanisches Gericht“, belehrt mich Maria mit der Geste und der Betonung einer italienischen Operndiva.
„Toskanisches Gericht?“ mischt sich jetzt Toni in die Runde ein.
„Aber, warum gibt es dann Pasta e´Fagioli nur bei uns in Napoli und zwar als letzten Gang bei Hochzeiten?“ will er von Maria wissen.
„Wahrscheinlich, weil ihr Neapolitaner eure Hochzeitsgäste ohne unsere toskanische Pasta e´ Fagioli gar nicht satt kriegen könnt...!“ schießt Maria zurück.
„ Aber, aber..“ versucht sich Toni zu wehren und fantasiert schon von pompösen neapolitanischen Hochzeiten mit 10 Gängen.
Die fleißigen deutschen Männer in den weichen italienischen Kaschmirpullovern grinsen vor sich hin und löffeln ihre letzten vegetarischen Bohnenbrei genussvoll. Bei „ihrem Italiener“ zelebrieren sie ihre Pasta e Fagili als wären sie die letzten Gäste auf einer neapolitanischen Hochzeit.
Auch ich bin begeistert. Marias Pasta mit Bohnen, zubereitet nach dem Originalrezept aus dem alten Heft ihrer Toskanischen Oma, holt mir meine Kindheit zurück. Es schmeckt tatsächlich wie der Bohnenbrei meiner Mutter. Deftig und mild zu gleich. Das verstehe ich nicht.
Wie „Pasta e fagioli“ zu uns nach Sarajevo kam, rätsel ich vor mich hin, auch zwei Wochen später als ich in meiner Kölner Wohnung das Gericht mit dem schönen italienischen Namen meinem veganen Bruder aus Berlin serviere. Ich wundere mich, dass er das Gericht unserer Kindheit gar nicht wiedererkennt. Er schmatzt und schlürft und und preist die italienische Küche und die „Pasta e Fagioli“. Ich hatte sie ihm gekocht genau wie unserer Mutter sie zubereitet hatte. Den Speck habe ich allerdings weggelassen.
„Hervorragend!“ lobt er mich und diktiert Alexa den sagenhaften Namen des leckeren italienischen Gerichts.
„In New York sei der italienischen Eintopf nun als „Pasta fasool“ bekannt und in vielen Lieder schon besungen und gerade unter US-Hipster ein Renner“ spuckt Alexa aus.
„Das ist ja klar, auch ohne Alexa und ihren Boss Google weiß ich, wie in New York die amen Tellerwäscher zu Millionären werden…“ sage ich.
„Aber wie kam Pasta e Fagioli aus der Toskana zu uns nach Sarajevo?“ lässt mich die Frage nach der Herkunft nicht los.
„Vielleicht war es umgekehrt!...“ meint mein Bruder, nachdem ich ihn aufgeklärt und die Zusammenhänge enthüllt hatte. Er fängt immer an ,logisch‘ zu denken, wenn seine Alexa schweigt. So wie jetzt.
Vielleicht hat er recht! Vielleicht ist tatsächlich ein Kroate, Bosnier, oder Serbe in die Toskana ausgewandert, und hat dort die bekannte serbische Bohnensuppe einfach mit Pasta vermischt... Aus Spaß, aus Not oder warum auch immer…Für seine italienischen Gäste oder für eine schöne Frau, vielleicht Marias Urgroßmutter?
Das hatten wir schon einmal bei dem amerikanischen Wein Zinfandel, dessen Ursprünge der italienische Primitivo ist und der – so die genetischen Ursprungsforscher – stammt wiederum von kroatischen Plavac ab.
-------
Das Rezept: Marias Pasta Fagioli für vier Personen
(Für Veganer bitte ohne Speck und Permasan!)
200 g gekochte weiße Bohnen
1 Stück Speck, Bauchspeck
150 g kurze Nudeln z.B. Rigatoni
3 Zweige Rosmarin
6 Blätter Salbai
4 EL Petersilie, gehackte 4 Tomaten häuten und würfeln
3 Knobizehen
1 Zwiebel Salz, Pfeffer, Glas Wein Balsamico ¾ Liter Gemüsebrühe
50 g Parmesan, frisch gerieben
Bohnen am Vortag im Wein einweichen. Am nächsten Tag die Bohnen mit dem Speck kochen. Immer gut bedeckt halten. Notfalls heißes Wasser nachschütten. Leise vor sich hin köcheln lassen. Dauert je nach Alter der Bohnen 1 - 2 Stunden. Die Bohnen dürfen nicht zerfallen. In der Zwischenzeit die Kräuter waschen. Die Rosmarinnadeln von den Stängeln abstreifen und mit den Salbeiblättern fein
hacken. Zwiebel und Knoblauch auch fein hacken und in dem Olivenöl andünsten. Rosmarin und Salbei zufügen. Die Tomaten waschen, abziehen und grob hacken. Zu den Kräutern geben und kurz mitdünsten. Mit der Gemüsebrühe 20 Minuten köcheln lassen.
In einer anderen Pfanne die Nudeln trocken anrösten bis sie goldbraun sind. Sobald die Bohnen gar sind, mit einem Schaumlöffel die Hälfte der Bohnen in die Kräuterbrühe geben. Die Nudeln dazugeben. Den Rest der Bohnen mit dem Kochwasser pürieren und in die Suppe geben.
Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
コメント